- Mittwinter, 21. Langschnee 517 vom Anwesen de Winter nach Glyn-y-Defaid -
Winter is the time for comfort,
for good food and warmth,
for the touch of a friendly hand
and for the talk beside a fire:
it is the time for home.
Edit Sitwell
Weiß ist seit mehreren Siebentagen die dominierende Farbe des Anwesens de Winter oder besser gesagt ganz Talyras, inklusive dessen Umland. In der Natur scheint es keine weitere Farbe mehr zu geben, ausgenommen von diversen Grauschattierungen oder sattem Schwarz. Selbst der Himmel ist bleiern und schwer, Wolken sperren das sonst so klare Blau des Firmaments wie grimmige Wächter aus und lassen keinen einzigen Sonnenstrahl hindurch blitzen. Der Winter hat Einzug gehalten und Schnee ist ihm auf frostigen Sohlen gefolgt. Überall türmt er sich mindestens bis auf Kniehöhe empor und in Verwehungen sogar noch um einiges höher, kriecht Häuserwände herauf, verstopft Talyras kleine Gässchen, verschüttet Hauseingänge mit der weißen Fracht und klebt in dicken Klumpen an der knotigen Rinde der Eiche im Hof des de Winterschen Anwesens. Und noch immer fällt das pudrige Weiß auf Talyra herab, addiert sich beständig mit leisem Zischeln zu den bereits liegen gebliebenen Flocken oder landet etwas unglücklicher auf jemandes Haupthaar, um dort leise in einem kleinen Tropfen kaltem Nass zu vergehen. Doch nicht so bei Lyall. Auf ihrem Kopf hat sich bereits ein Überzug aus winzigen Kristallen gebildet, welcher unbeeindruckt von der Hitze ihres Kopfes auf diesem thront. Oder besser gesagt auf ihrer Mütze. Braun und wollig-flauschig von Avilas flinken Fingern aus Wolle von Cináeds Schafen gestrickt, hält er Lyall warm und die Schneeflocken am leben. Auch auf ihren dicht mit Winterfell besetzten Ohren, welche aus zwei Löchern in der Mütze herausragen, hält sich der Schnee (wenn sie diesen nicht durch schnelle Bewegungen dieser herunter fegt) und denkt nicht daran zu schmelzen, während die Wargin die letzten Schippen voll Schnee auf die Haufen wirft, welche sich neben dem Weg zum Anwesen auftürmen. Kurz betrachtet sie ihr Werk, während sich kleine Atemwölkchen vor ihrem Mund formen, wendet sich dann dem Schuppen zu, um die Schaufel gegen einen Besen zu tauschen. Flugs ist so auch die Freitreppe frei gekehrt, wird noch mit kleinen Steinchen gegen das Ausrutschen bestreut, dann ist Lyall fertig. Sie hat ihre Arbeit gewissenhaft erledigt, jedoch schneller als sonst und mit einem dauerhaften Grinsen im Gesicht.
Heute ist der 21. Langschnee. Julfest, oder besser gesagt Wintersonnenwende und somit auch ein Hochtag Ealaras. Doch das ist nicht der eigentliche Grund warum die Drachenländerin schon seit Tagen nicht richtig still sitzen kann, ihre Gedanken oft abschweifen oder sie einfach nicht anders kann als – so wie jetzt – vom einen bis zum anderen Ohr zu grinsen.
Die Bewohner des Anwesens kennen diesen Zustand mittlerweile sehr gut und nehmen diesen duldsam und wohlwollend zur Kenntnis, freuen sich sogar sehr für sie, denn sie wissen, dass die Wargin an diesen besonderen Tagen Cináed endlich wieder in ihre Arme schließen darf. Durch die witterungsbedingten Arbeiten am und im Anwesen ist Lyall schon länger nicht fort gekommen und sehnt sich nun redlich nach Glyn-y-defaid . Ein Blick auf die immer dunkler werdende Wolkenplatte über ihr, die noch immer kontinuierlich Schneeflocken produziert, verheißt zwar nichts gutes, doch nichts auf Rohas weitem Rund wird Lyall an diesem Tag davon abhalten zu ihrem Gefährten zu kommen. Und wenn der Dunkle persönlich auftaucht!
Ein Klopfen zu ihrer Rechten lässt sie erschreckt zusammenfahren und reißt sie aus ihren Gedanken. Es ist Avila, die lächelnd an einem der Fenster steht und ihr mit einer Hand bedeutet herein zu kommen, während ihre andere den schweren Samtvorhang beiseite hält. Die Wargin kommt ihrer Aufforderung ins Warme zu wechseln zur gern nach, aber erst nachdem sie Besen als auch Eimer ordentlich neben der Treppe abgestellt hat (damit Avila später, wenn sie die Treppe erneut würde kehren müssen, diese gleich griffbereit hatte) und sich hinter der Tür ihrer Stiefel entledigt, um diese auf ein paar alte Lappen zu stellen. Jacke und Mütze hängt sie auf die Garderobe, wo sich die verbliebenen Schneeflocken auch sogleich in kleine tauartige Tropfen verwandeln.
Drinnen empfängt sie der wohlige Geruch von allerlei Gewürzen, der herben Duft von Tannen- und Kiefernnadeln sowie der rauchig-träge Geruch des Feuers, welches im Kamin des Salons vor sich hin lodert. Aus eben jenem Zimmer kommt Avila gerade hervor, ein leeres Silbertablett in der Hand.
„Komm,“ sagt sie einladend. „Setz dich zu uns. Ich habe auch heiße Getränke gemacht.“ Kurz greift die Herzländerin nach den Händen der Wargin und sieht sie dann tadelnd an, was Lyalls Ohren dazu veranlasst verlegen nach unten zu sinken. „Du hast wieder deine Handschuhe nicht angehabt, oder?“ Lyall bleibt eine Antwort schuldig, da sie Avila nicht verärgern indem sie zugeben müsste, dass sie gerade nicht weiß wo sich diese in ihrer Kammer befinden. „Na, dann wärme dich an deiner Tasse auf. Geh schon vor, die Herrin ist auch da. Ich komme gleich nach.“
Als sie in den Salon tritt, empfängt sie schon das warme Lächeln ihrer Herrin, welche ihr mit einer Geste bedeutet sich auf einen der weichen Sessel niederzulassen. Die Drachenländerin freut sich Lady Aurian de Winter zu sehen, hatten sie doch auf dem Anwesen des Öfteren auf ihre Anwesenheit verzichten müssen. Aber die Pflichten einer Gardemagierin ruhen wohl nur selten. Vor dem Sessel der Drachenländerin steht eine dampfende Tasse Gewürztee auf einem Beistelltischchen, aus der eine Zimtstange hervorlugt sowie ein kleiner Teller mit delikaten kleinen Keksen, die Avila und sie vor ein paar Tagen gebacken hatten. Während Lady Aurian sich nach ihrem Befinden erkundet, worauf Lyall freundlich antwortet und dann interessiert zuhört während Lady Aurian über Vorkommnisse in der Steinfaust berichtet, kann Lyall nicht anders als ihren Blick durch den geschmückten Salon schweifen zu lassen. Natürlich ist nicht nur dieser Raum geschmückt, sondern das ganze Anwesen, aber genau hier, mit dem prasselnden Kaminfeuer, den gemütlichen Sesseln, den Teearomen und dem friedlichen Zusammensein, scheint das Zentrum der anheimelnden Atmosphäre zu liegen. Und so lauscht Lyall den Worten ihrer Herrin, wirft ab und zu ein Kommentar ein (vor allem, dass ihre Herrin nicht vergisst Rhordri zu grüßen!) oder nickt nur, während ihre Finger sich genüsslich um das wärmende Steingut der Tasse schmiegen. Auch Avila ist nun wieder zu ihnen gestoßen und alsbald entwickelt sich ein reges Gespräch, mal um alltägliches, mal um dienstliches drehend oder einfach um Dinge, die einen der Sprecher gerade beschäftigen. Lange sitzen sie so und reden, genießen die Gesellschaft und trinken auf des jeweils anderen Wohl und auf die nun länger werdenden Tage, während sie Scheite nachlegen und die Wärme genießen, die sie an kommende Sonnentage denken lässt. Sie alle schenken sich heute Zeit. Zeit für den jeweils anderen, da diese doch öfter zu kurz kommt als sie zugeben mögen.
Erst als das Irrlicht Apfelgribs das kleine Köpfchen zur Tür herein streckt und sich schrill beschwert, man hätte sie doch wecken können, wird Lyall bewusst, dass sie nun doch recht spät vom Anwesen loskommen wird als ursprünglich geplant.
Als sie ihre Absichten kund tut und sich für ihre baldige Abwesenheit entschuldigt, winken beide Frauen nur ab und Lady Aurian entgegnet augenzwinkernd: „Wir haben uns schon gefragt, ob du doch hier bleibst. Geh nur, aber paß auf dem Weg zu Glyn-y-defaid auf! Es scheint einen Schneesturm zu geben.“ Versichernd nickend verspricht Lyall, dass sie acht geben wird, gibt der protestierenden Apfelgribs noch einen Kuss auf die kühle Wange und verlässt den Salon. Sie sputet sich, läuft flink über den Hof (natürlich ohne Jacke, Mütze und Stiefel... die selig an der Garderobe trocknen... dafür aber in ihren alten Holzpantinen) und ist flugs im Gesindehaus verschwunden. In ihrer Kammer fällt ihr Blick auf das Geschenk für Cináed, doch sie wird es hier lassen müssen und es ihm erst dann geben können, wenn sie das nächste Mal nicht in ihrer Wolfsgestalt auf dem Schafhof auftaucht. Er wird es ihr hoffentlich verzeihen, aber ihre Angst ist zu groß, dass sie es verschmutzen oder gar verlieren könnte. Dann beginnt sie die Wandlung, welche zwar schnell von statten geht aber deutlich schmerzhafter ist, als im Sommer, da sich das dichtere Winterfell wie eine Million kleiner Nadeln aus ihrer Haut herausschiebt und diese kurz unangenehm jucken und brennen lässt.
Doch lange lässt sie sich nicht von den Nachwirkungen der Wandlung ablenken, sondern ist schon aus der Tür hinaus und auf dem Weg zum Schafhof.
Ist sie innerhalb der Stadtmauern noch schnell voran gekommen, so ändert sich dies schlagartig, als sie das offene Umland betritt. Eiskristalle und klirrend kalte Luft wehen ihr scharf entgegen, piesacken ihre empfindliche Nase mit zwickenden, frostigen Fingern. Die Straße ist zwar als zerfahrenes, eisig glitzerndes Tal zwischen den Schneewehen erkennbar, doch je weiter man sich von Talyra entfernt umso schwerer wird das Vorankommen. Haben die Karren vor ein paar Stunden noch relativ sicher passieren können, so sind ihre Spuren jetzt kaum noch erkennbar. Im Gegenteil, der Wind und der umherpeitschende Schnee tun ihr Bestes um die letzten Hinterlassenschaften der Zivilisation auszuradieren. Hier herrschen nun die Frostriesen und Lyall kann ihre Spottlaute im Knacken der starr gefrorenen Rinde der umgebenden Bäume vernehmen und ihr hämisches Lachen verbirgt sich im Klang der tanzenden weißen Flocken.
Da sich die Schneewehen so hoch auftürmen, dass die Wargin nicht mehr über sie hinweg sehen kann, verwirft sie die Idee sogleich, eine Abkürzung durch den Wald zu nehmen. Also trabt sie stoisch in der Senke weiter, kneift ihre bernsteingoldenen Augen gegen den Wind zusammen und legt ihre Ohren eng an ihren massigen Schädel an, während sich auch auf ihrem Pelz der Schnee zu sammeln beginnt und bald eine dicke Schicht bildet. Obwohl die beiden Monde nicht zu sehen sind, glüht die Welt um sie herum in einem gespenstischen fahlen Weiß, und die umherwirbelnden Schneeflocken schränken die Sicht auf wenige Schritt ein. Doch die Wargin kennt den Weg gut genug, um ihn blind zu finden und verfehlt ihr Ziel auch diesmal nicht.
Wie eine Oase in einer kalten weißen, toten Wüste kann sie den Schafhof erkennen, als sie die Brücke überquert und ihre Pfoten auf dem frei geräumten Weg nun schneller voran kommen. Ea sei Dank, hat sie der schlimmste Teil des Schneesturms noch verschont, doch was nicht ist, kann bekanntlich noch werden. Doch nur kurz hängen ihre Gedanken an einen Schneesturm in ihrem Kopf fest, denn sie hofft inständig er möge doch vorbei ziehen.
Als sie auf den Hof trabt, ist sie nicht mehr alleine sondern wird von Cináeds Hunden begeistert begrüßt und ihre Ankunft durch diese lautstark kundgetan. Und da öffnet sich auch schon einer der Türen von Glyn-y-defaid, wie ein Tor zu einer anderen Welt. Goldenes Licht flutet über das kalte Weiß, lässt die winzigen Flocken am Boden funkeln und blitzen und die Wargin muss kurz ihre Augen zusammenkneifen, um die Gestalt in der Tür zu erkennen. Es dauert jedoch nur einen Herzschlag.
Die wie von einem von Ealara gesandten Halo umgebene Gestalt ist Cináed, ihr geliebter Gefährte. Unbändige Freude lässt sie die letzten Schritt bis zu ihm mit riesigen Sätzen überbrücken, springt ihm entgegen und an ihm hoch, was ihn beinah von den Füßen gerissen hätte. Doch er fängt sich mit einem Ausfallschritt nach hinten gerade noch so ab, während Lyall unablässig damit beschäftigt ist herzerweichend zu winseln und ihren Kopf an ihn zu schmiegen.
Endlich ist sie wieder bei ihm. Die überschwänglichen Gefühle lassen ihr Herz tanzen und sie hätte ihn aus lauter Übermut wahrscheinlich quer über das Gesicht geleckt, hätte er ihre Pfoten nicht lachend von seinen Schultern gepflückt und sie so zur Raison gebracht. Hinter ihr fällt die Tür wieder ins Schloss, während Cináed nach einem bereitliegenden Handtuch greift und beginnt Lyalls Fell von Schneeklumpen und Nässe zu befreien. Mit vor Wonne geschlossener Augen genießt die Wargin jede seiner Berührungen sowie die sanften Worte, die er an sie richtet und ist die wohl glücklichste Wölfin auf ganz Roha, die jemals aus verliebt glänzenden Bernsteinaugen unter einem karierten Handtuch hervorgeschaut hat.