Während Zoe vor sich hin träumt, lassen alle anderen es sich schmecken und langen ordentlich zu. Als Nathan schließlich eine kleine Dankesrede anstimmt und auf die weit zurückliegenden Ereignisse beim Blaumenball im Haus de Winter zu sprechen kommt, verstummen die Gespräche der Erwachsenen jedoch abrupt. Die Kinder schenken den Worten des einstigen Hexers keine besondere Aufmerksamkeit, aber Owyn und Rhona, Emrys, Nara, Liam und natürlich auch Cináed, hören schweigend zu. Und allen scheinen andere Gedanken durch den Kopf zu spuken. Doch niemand am Tisch äußerst sich abfällig oder verärgert, die gute Stimmung kehrt schnell zurück und alle beenden gut gelaunt ihr Mittagsmahl.
Nara und Mair haben bereits damit begonnen den Tisch abzuräumen, als Úna und Zoe schließlich an Cináeds Seite schlüpfen und mit großen Augen darum bitten eine Geschichte erzählt zu bekommen. Der Elb lacht. Die beiden Mädchen müssen ihn nicht lange bitten. „Gut“, willigt er ein. „Für eine kurze Geschichte ist immer Zeit.“
Der Gutsbesitzer überlegt kurz, dann beginnt er zu erzählen: „Es war einmal ein schlauer Fuchs, der bat einen hungrigen Storch darum am Inartag sein Gast zu sein. Der Fuchs setzte dem Storch die allerköstlichsten Speisen vor, aber die Schüsseln, die er verwendete, waren so flach, dass der Storch mit seinem langen Schnabel nicht daraus essen konnte. Und so musste der hungrige Storch hilflos zusehen, während der Fuchs sich gierig den Magen vollschlug. Obwohl er sich betrogen fühlte, machte der Storch jedoch gute Miene zum bösen spiel und lobte die Gastfreundschaft des Fuchses in den höchsten Tönen und lud den Fuchs am Shentag zu sich ein, um sich angemessen bedanken zu können. Er Fuchs ahnte das der Storch ihm die Beleidigung heimzahlen wollte und lehnte die Einladung höflich ab, doch der Storch lies das nicht gelten und überredete ihn schließlich doch. Am nächsten Tag zeigte sich, dass der Fuchs mit seiner Vermutung Recht behalten sollte. Denn als er beim Storch an die Türe klopfte und dieser ihn ins Haus ließ, konnte er bereits von der Türe aus sehen, dass der Tisch nur mit hohen, langhalsigen Schalen gedeckt war. Dieses Mal war es daher der Fuchs, der dem Storch hungrig beim Essen zusehen musste.“*
Schmunzelnd schaut Cináed in die Runde. „Und, was will uns diese Geschichte sagen?“, fragte er in die Runde. Auch Gwyn und Aruna haben sich mittlerweile zu ihm und den beiden Mädchen gesellt und aufmerksam zugehört. Gwyn grinst. „Was du nicht willst, dass man dir tu' das füg' auch keinem anderen zu“, ruft er keck und grinst, stolz die Moral der Erzählung so schnell verstanden zu haben. Cináed nickt zustimmend. „Richtig.“ Der Elb lacht verschmitzt. „Dann bist du jetzt an der Reihe, Gwyn“, erklärt er vergnügt. Der Junge schaut ihn verdutzt an. Der Gutsbesitzer nickt zustimmend. „Oh...“ Gwyn runzelt angestrengt die Stirn, plötzlich kommt ihm eine Gedanke und hastig beginnt er zu erzählen. „Es war einmal ein Fuchs...“, beginnt er, wird aber sogleich von Úna unterbrochen. „Noch eine Fuchsgeschichte?“ Cináed legt eine Hand auf den Mund. „Ruhig, lass Gwyn doch erst einmal erzählen“, schaltet er sich ein. Der Junge wirft seiner Schwester einen giftigen Blick zu und beginnt dann erneut: „Es war einmal ein Fuchs, der hatte ganz fürchterlichen Hunger und Durst. Während er so auf der Suche nach etwas zu Essen und zu Trinken umherstreifte, bemerkte er auf einmal einen Weinstock, an dem ganz viele saftige Trauben hingen – die Früchte würden nicht nur seinen Hunger, sondern auch seinen Durst stillen. Doch sosehr der Fuchs sich auch bemühte, er konnte die Trauben nicht erreichen. Enttäuscht dachte er »Sie sind noch nicht reif.« und zog weiterhin hungrig und durstig seiner Wege.“
„Was soll das den für eine blöde Moral sein?“, ereifert sich Úna entrüstet und schaut ihren Bruder grimmig an. Ein leises Lachen erklingt hinter ihrem Rücken. „Gwyns Geschichte lehrt uns, dass wir manchmal dazu neigen unsere Unfähigkeitauf die äußeren Umstände schieben, anstatt den Fehler bei uns selbst zu suchen oder uns etwas mehr anzustregen, Úna“, antwortet Mair freundlich. Úna runzelt die Stirn, um eine Weile über diese Worte nachzudenken. „Hm, vielleicht hast du Recht“, stimmt sie schließlich wiederwillig zu. „Dann bist du jetzt an der Reihe, Mair.“ Von einem Moment auf den anderen entspinnt sich in der Küche ein regelrechte Geschichtenwettbewerb, an dem sich alle Anwesenden munter beteiligen. Selbst Rhona beginnt eine Geschichte zu erzählen, während sie tapfer die Geschirrberge zu stapeln und zu spülen beginnt. „Ich habe einmal von einem Imker gehört“, beginnt die Oberste Magd, „dem von einem Dieb Honig und Wachs gestollen wurde, als er nich Zuhause war. Als der Imker heim kam und den Diebstahl bemerkte, da schaute er sich um und untersuchte auch seine leeren Bienenstöcke gründlich. Er war so sehr in Gedanken vertieft, dass er gar nicht bemerkte, wie seine Bienen zurückkehrten. Als sie ihn umschwierten und stachen und böse zurichteten, da rief er deshalb erbost: »Ihr garstigen Biester. Den Dieb habt ihr ungeschoren entkommen lassen, aber mich, der ich mich so sorgsam um euch kümmere und euren Zorn nicht verdiene, den stecht ihr in eurer Wut!«“
Zwischen den Kindern entsteht eine heiße debatte ob der vermeindlichen Moral von Rhonas Geschichte. Nach einigem hin und her einigen sich Zoe, Úna und Gwyn schließlich darauf, dass manche Menschen sich nicht ordentlich vor Feinden und schlechten Menschen in acht nehmen und stattdessen oft diejenigen, die es gut mit ihnen meinen, vor den Kopf stoßen und ungerecht behandeln. Gut gelaunt kramen sie noch die eine oder andere Geschichte heraus, doch schließlich gebietet Cináed dem fröhlichen Treiben einhalt. Es gibt Arbeit zu tun und so gerne sie auch noch weiter beisammensitzen würden, Nara und Mair, Liam und Emrys und die anderen haben Aufgaben, die sie heute noch erledigen müssen. Und außerdem müssen Zoe, Aruna und Nathan irgendwann wieder in die Stadt zurück.
Anmerkung: Fabeln frei nach Aesop